Auf dem Vive Latino Festival in Mexiko-Stadt bekommt man ideale Gelegenheiten, um den eigenen musikalischen Horizont zu erweitern. Nur selten harmonieren unterschiedliche Musikstile wie Indierock, Salsa, Metal und Pop so sehr wie an diesen beiden Tagen.
Das Vive Latino ist eine Institution auf dem mexikanischen Festivalmarkt, der gelinde gesagt recht untersättigt ist. Gerade deshalb zieht es jedes Jahr zigtausende in das ehemalige Baseballstadion “Foro Sol”, um altbekannte Helden zu feiern und neue Bands zu entdecken. In der 18. Ausgabe des Festivals verteilen sich 80.000 Gäste auf 3 Open Air Stages und 2 Zeltbühnen. Rund 80 Bands stehen dieses Mal auf dem Timetable – die meisten davon aus dem lateinamerikanischen Raum. Für die Headlinerslots hat sich das Festival jedoch außerhalb dieser Grenzen umgeschaut und das französische Elektroduo Justice sowie die Prophets of Rage aus den Staaten eingeladen.
Auf dem Weg zum Stadion fällt etwas höchst Eigenartiges auf, wenn man deutsche Festivals gewohnt ist: Nirgends Bierdosen oder Alkoholflaschen, die die Straßen pflastern. Sämtliche Besucher auf dem Hinweg sind außergewöhnlich gediegen unterwegs. Etwas unerwartet in dieser Stadt, die den Ruf hat, wild und gefährlich zu sein. Stören tut es mich nicht, schließlich gibt es vor der Bühne genug Gründe, den Emotionen freien Lauf zu lassen. Neben den internationalen Headlinern spielen an diesem Wochenende auch nationale Topacts wie Los Fabulosos Cadillacs, Zoé oder La Sonora Santanera. Alle schon seit Jahrzehnten aktiv, letztere bereits seit über 60 Jahren.
Schon beim Anhören einiger Bands im Vorfeld des Festivals freue ich mich, dass sich lokale und sehr klassische Musikrichtungen wie Salsa, Cha Cha oder Cumbia im Line Up wiederfinden – Musik, die man auf deutschen Festivals so gut wie nie zu hören bekommt. Wer damit nichts anfangen kann, hat aber immer noch mit europaweit bekannten Acts wie Jake Bugg, Foxygen oder The Pretty Reckless Spaß. Hip Hop von G-Eazy, die Punkrocklegenden Rancid oder sogar Grindcore von Brujeria runden das Line Up ab, sodass sich niemand über fehlende Abwechslung beschweren dürfte. Einzig rein elektronische Musik ist etwas unterrepräsentiert. Beim Vive Latino schwört man halt auf Handgemachtes.
Auf dem Gelände fällt sofort auf, dass man nicht von Werbung erschlagen wird. Zwischen den Bands tönen keine Softdrink-Werbungen, sondern Live-Übertragungen der Nachbarbühnen, die so manchen Fans ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
Obwohl einigen bei den Getränkepreisen das Lächeln vergehen müsste. Hier kann das Vive Latino locker mit europäischen Standards mithalten. Aber dafür auch in den Punkten Sicherheit und Organisation: Trotz der Massen von Besuchern hat man nie das Gefühl, Platzangst haben zu müssen – dem riesigen Gelände und der tollen Platzierung der Bühnen sei Dank. Bei den internationalen Healindern wird es sogar spürbar leerer im Stadion. Umso besser für die noch Anwesenden, die Prophets of Rage und Justice aus nächster Nähe genießen können. In Europa ist das bei Acts von diesem Kaliber wohl nicht so einfach möglich.
Nach einer Vielzahl von durchgetanzten Konzerten und zurückgelegten Kilometern, aber dafür umso weniger Schlaf bleibt mir hinterher nur zu sagen: Schade, dass das Festival in diesem Jahr nur zwei Tage andauerte. Die Organisation entscheidet von Jahr zu Jahr aufs Neue, wie viele Tage sinnvoll für die Durchführung sind. So dauerte das Festival in den ersten Jahren einen Tag an, bis es sich zwischenzeitlich mal zu einem Vier-Tages-Event entwickelt hat. Doch selbst wenn es in diesem Jahr ein vergleichsweise kurzes Vergnügen war, gab es an diesen beiden Tagen verdammt viel neue Musik zu entdecken, in Gefilden, die mir zuvor verborgen waren. Muchas gracias, Vive Latino!
Meine Lieblings-Entdeckungen im Line Up:
1. Mon Laferte (CHL): Sehnsuchtsvoller, bluesiger Pop, vorgetragen von einer Wahnsinns-Frauenstimme.
2. Xixa (USA): Atmosphärischer und psychedelischer Wüstenrock. Filmreif!
3. La Pegatina (ESP): Energetischer Ska/Rock, der auch in klassischen Musikrichtungen fischt. Gute Laune und Ohrwürmer zuhauf!
4. Orkesta Mendoza (USA): Bezeichnen ihre Musik als “Indie-Mambo”. Fans von Calexico werden hier sicher Spaß dran haben.
5. Juileta Venegas (MEX): Gute-Laune Pop im Stile von Feist. Zurecht eine ganz große Nummer in Mexiko!