Donnerstag: Von PJ Harvey und Perfektion
Das volle Programm startet am Donnerstag bei bestem Festivalwetter. Angenehme 22 Grad, Sonne und eine leichte Brise sorgen für Komfort-Feeling. Aber auch auf schlechteres Wetter ist man hier vorbereitet, wir sind schließlich immer noch in Norddeutschland. Anders als bei vielen anderen Festivals dieses Jahr setzt das A Summer’s Tale keine restriktiven – und in der Praxis recht nutzlosen – Gepäckregeln durch.
Höchstwahrscheinlich, weil das Publikum hier das nicht mit sich machen lassen würde. Picknickdecken, Lunchpakete und sogar Bollerwagen gehören zur Szenerie und darauf verzichten zu müssen, würde die Idee des Festivals schwer beschädigen. Diese Leichtigkeit, einen vermeintlichen Anstieg der Sicherheit zu opfern, wäre sicherlich die falsche Entscheidung gewesen.
Bei Tash Sultana ist es am frühen Nachmittag schon relativ voll, wenn man bedenkt, dass die meisten Leute es sich noch draußen in der Sonne gemütlich gemacht haben. Die Australierin bringt eine ganze Wagenladung von Instrumenten mit: Gitarren, Synthesizer, Drumpads und Trompete werden bunt gemischt durch die Loop-Station gejagt.
Man erkennt relativ schnell, warum die gerade mal 22-jährige in ihrer Heimat schon ein kleiner Star ist. Sie beherrscht ihre Instrumente, vor allem die Gitarre, mit virtuoser Präzision und verwebt diese zu dichten Soundflächen von Indie bis Funk. Lediglich die Länge ihres Sets schmälert den Auftritt. Über eine Stunde kommt, auch wegen des reservierten Publikums, Phasenweise Monotonie auf.
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Direkt im Anschluss spielen nebenan die US-Amerikaner Cigarettes After Sex. Deren Auftritt, komplett in schwarz gekleidet, ohne jegliche Bewegung und ihr ruhiger Dream-Pop im Stile von Beach House, untermalt von der tiefen Stimme von Frontmann Greg Gonzalez, könnte kein größerer Kontrast zur Atmosphäre sein.
Es ist sonnig und warm, überall spielen Kinder und die Melancholie der Songs scheint sich auf wundersame Weise auf dem Weg von der Bühne in pure Fröhlichkeit zu wandeln. Aber genau wegen dieses absurd anmutenden Kontrastes funktioniert der Auftritt wunderbar. Gerade weil diese Art von Musik so viel eher in lange Rotweinnächte passen will, als auf sonnige Festivalbühnen, fällt es schwer, sich nicht von der Musik in andere Sphären entführen zu lassen.
Aus dem Trubel der Hauptbühnen heraus geht es zum sogenannten “Grünen Salon”, einer Bühne, auf der beim A Summer’s Tale hauptsächlich Lesungen und Performances von Comedy bis Tanz stattfinden. Der Journalist Arno Frank liest Passagen aus seinem Buch “So, und jetzt kommst du”, einer autobiographischen Nacherzählung seiner Jugend auf der Flucht vor der Polizei durch Europa, den verbrecherischen Machenschaften des Vaters, die das junge literarische Ich erst nach und nach begreift.
Die ruhigen, langgezogenen Erzählungen holen das Publikum für rund eine Stunde aus ihrer Umgebung in die Welt dieser doch sehr anderen Kindheit. Die Kinder selbst kümmert das wenig. Wer kann es ihnen verdenken.
Auf der Hauptbühne bereitet sich währenddessen alles für den ersten Headliner vor. Die beiden Namen, die ganz oben auf den Plakaten stehen, werden gleich heute spielen. Den Anfang macht bei besten, früh abendlichen Bedingungen Indie-Ikone PJ Harvey. Und die stellt alles in den Schatten, was es bisher zu sehen und noch zu sehen geben wird.
Fast ein Dutzend Musiker, Streicher, Bläser sowie mehrere Gitarren und Drumsets gleichzeitig bauen einen Sound auf, der an Dichte und Dringlichkeit unerreicht bleiben wird. Aufgebaut um die beiden aktuellsten Alben, “The Hope Six Demolition Project” und “Let England Shake”, hat ihr Set einen fließenden Übergang, der Songgrenzen verschwimmen lässt und das Publikum in seinen Bann zieht.
Die Präzision, mit der die Musiker aufeinander abgestimmt sind, wie der vielstimmige Backgroundgesang die ohnehin schon fantastische Stimme PJ Harveys unterstreicht, die Bläser die drängenden Songs nach oben treiben und Geschichten von Verfall und Verlorenheit in einen orchestralen Rahmen einbetten, all das ist Perfektion.
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Fast schon etwas verloren wirken dagegen im Anschluss die Schweden von Johnossi, ihres Zeichens Hauptakteure der Welle an schwedischen Indie-Rockbands, die Mitte der 2000er in die deutsche Szene schwappten. Wie ihre Mitstreiter von Mando Diao oder den Hives haben aber auch Johnossi ihren Zenit längst überschritten.
Sicherlich, die Hits funktionieren auch nach zehn Jahren noch und an Energie und Bühnenpräsenz mangelt es dem Duo und ihrer Band nicht. Aber im Gegensatz zu PJ Harvey oder den Pixies ist ihre Musik nicht gut gealtert und wirkt aus dem Kontext des Indie-Rock-Hype gerissen merkwürdig blutleer und eintönig. Bei einem Club-Konzert unter Fans kann man diese Atmosphäre bestimmt noch einmal aufbauen, hier funktioniert es leider nicht.
Den großen Abschluss des Abends bilden die Pixies. Die Wegbereiter des Grunge sind zwar nicht mehr die Jüngsten und das Material seit ihrer Reunion bestenfalls gute Anleihen an frühere Glanztaten, live bleiben sie aber eine Institution. Die wenigen wach gebliebenen Kinder können in Zukunft durchaus mit Stolz erzählen, dass sie schon in jungen Jahren die mächtigen Pixies gesehen haben.