Das Jahr war für uns alle reich an Highlights und verabschiedet sich für mich persönlich mit einem weiteren. In Reykjavík versammelten sich vom 27. bis 30. Dezember zahlreiche Künstlerinnen und Künstler aufgrund einer Einladung von niemand geringerem als Sigur Rós zum Norður og Niður. Die isländische Band selbst schloss dort mit separaten Konzerten an den vier Tagen ihren aktuellen Tourzyklus ab und sorgte dafür, dass man auch am Jahresende noch seinem liebsten Hobby, dem Besuchen von Festivals, nachkommen konnte.
Das erlesene und überzeugende Programm wurde in den Räumlichkeiten der Harpa, dem berühmten Konzerthaus der Stadt, präsentiert. Darin gab es überall etwas zu entdecken, zum Beispiel konnte man in der Nähe des Eingangs live verfolgen wie die isländische Künstlerin Sigga Björg Sigurðardóttir Unikate erstellte, die sich als Albencover der limitierten Vinyl-Veröffentlichungen herausstellten. Auf ein paar hundert Exemplare begrenzt, konnte man verschiedene Veröffentlichungen erwerben. An den Bars der Harpa gab es außerdem ein exklusives Festivalbier. Das Norður og Niður wurde also auch abseits der Bühnen groß zelebriert.
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Das Bühnenprogramm hatte aber auch viele interessante Vorstellungen zu bieten. So gab es in Zusammenarbeit mit der Iceland Dance Company interessante Tanzvorstellungen. Zu den Songs der Acts wurden spannungsvolle Choreographien des modernen Tanzes vorgeführt. Die Musik von GusGus, Hot Chip und Peaches bot sich dafür logischerweise sehr an. Aber auch zu ruhigeren Tönen, wie denen von Sigur Rós, wurde stimmungsvoll getanzt. Die Stücke waren definitiv eine tolle Einführung in die Breite des Programms und sorgten für eine gelungene Abwechslung.
Natürlich spielte aber Musik die größte Rolle und am ersten Abend gab es passend zur Zeit ein Konzert, bei dem Weihnachtslieder neu interpretiert wurden. Das Mikro teilten sich dabei zahlreiche isländische und internationale Gäste. Besonders in Erinnerung bleibt die Interpretation von Last Christmas, die von Alexis Taylor (Hot Chip) vorgetragen wurde. Der Auftakt war also schon etwas ganz besonderes.
Islands Winterzauber und Mary Lattimores Harfe
Den zweiten Festivaltag verbrachte ich in erster Linie mit Sightseeing. Island zeigte sich von seiner allerschönsten Seite – das bereicherte das Festivalerlebnis ungemein. Am Abend ging es dann trotzdem nochmal kurz in die Harpa. In einer Ecke des Gebäudes trat ein Chor mit einigen bekannten Gesichtern der lokalen Musikszene auf. Das Publikum um eine auffällige Frau mit Maske und Plateauschuhen lauschte aufmerksam den Stücken, die jeweils einzelne Mitglieder des Chores geschrieben haben.
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Ein hervorzuhebendes Highlight gab es nicht. Das Kollektiv überzeugte schlicht durch die Bank. Danach sorgte Mary Lattimore mit ihrem Harfenspiel fr einen weiteren schönen Auftritt. Unter gütiger Mithilfe ihrer Looptechnik gelang es ihr, interessante Soundwände zu zaubern. Die sympathischen Ansagen zwischen den Songs brachten ihre Freude, Teil des Norður og Niður zu sein, hervorragend rüber. Was ich mich vorher bereits dachte, traf also zu: Auch für die Künstler ist das Festival etwas ganz besonderes.
Mogwai folgt auf Sigur Rós – Viel mehr geht nicht
Der dritte Tag wartete mit einigen Highlights auf. Zum Auftakt stand nochmals Mary Lattimore auf der Bühne und spielte mit Julianna Barwick und Alex Somers ein spontanes Ambient-Set. Als kurzfristiger Ersatz für Jóhann Jóhannsson, der leider absagen musste, war dieser Auftritt mehr als zufriedenstellend und ein sehr gelungener Start in den Tag.
Anschließend sorgte Anna Kristín am Piano für einige Gänsehautmomente. Manch einer kennt sie vielleicht noch von múm, wo sie gemeinsam mit ihrer Schwester mitgewirkt hat, oder unter dem Namen Kria Brekkan. Kristíns Stimme ist ziemlich einzigartig, wodurch sie es schafft, die klassischen Pianoballaden von der Masse abzuheben.
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Wenig später kam einer dieser Momente, auf den alle gewartet haben: Ich durfte Zeuge einer der Shows von Sigur Rós werden. Die Band spielte im großen Saal. Die Bühne war nur so vollgestellt von Lichtelementen, die für eine extrem stark zur Musik passende Show sorgten. Das Set war, wie schon bei der Europatournee im Herbst, in zwei Hälften geteilt, bei der auch die Songauswahl gleichte. Dennoch sorgte die Location, in Verbindung mit dem aus aller Welt kommenden Publikum, für eine ganz besondere Atmosphäre. Ein solches Konzert erlebt man nur einmal im Leben und allein dafür hat sich die weite Reise schon gelohnt.
Gekrönt wurde der Abend im Anschluss von Mogwai. Das Doppel Sigur Rós und Mogwai lässt wohl das Herz eines jeden Post-Rock-Hörers höher schlagen. Und die Erwartungen wurden sogar übertroffen. Das enthusiastische Publikum hatte sichtlich Lust und die Band zahlte das Vertrauen mit einem tollen Auftritt zurück. Als Highlight lässt sich das Monster von einem Song Mogwai Fear Satan hervorheben. Nach 90 Minuten wurden wir glücklich und zufrieden in die Nacht entlassen.
Von Fantomas bis Jarvis Cocker: Würdiger Abschluss des Norður og Niður
Drei tolle Tage Norður og Niður mit einem überragenden Abschluss. Das war es aber noch nicht und auch Tag 4 ließ sich nicht in den Schatten stellen. Als erstes standen Amiina auf dem Programm. Das Quartett vertonte stimmungsvoll den französischen Film Fantomas. Zwar gab es nach 10 Minuten technische Probleme und die Musiker mussten nochmals von vorn spielen. Das tat der Show aber keinen Abbruch: Ich folgte dem Geschehen auf der großen Leinwand wie gefesselt und konnte der Handlung allein durch die musikalische Untermalung folgen. Ein großartiger Auftritt, der wunderbar zeigte, wie sehr Film und Musik zusammengehören und das dieses Zusammenspiel auch live hervorragend zusammenpasst.
Wenig später zeigte Gyða, dass sie nicht weniger begabt ist als ihre Schwester Ann Kristín. Statt dem Piano kamen Cello und Gitarre mit Unterstützung weiterer Streicher zum Einsatz. Gesang und die Musik sind eingängiger, aber immer noch durch eine klare Eigenheit gekennzeichnet. Das überwiegend neue Material ist jedenfalls vielversprechend.
Album & Song des Jahres: So stimmte Festival-Community ab
Ebenfalls viel unveröffentlichtes Songmaterial gab es bei Jarvis Cocker. Der Sänger der britischen Kultband Pulp zeigte, dass er Solo ebenfalls ziemlich gute Songs schreiben kann und immer noch ein großer Entertainer ist. Der 54-Jährige sprang über die Bühne und glänzte mit humorvoller Interaktion. So sollte das Publikum unter anderem auf die isländische Art und Weise klatschen. Die überwiegend internationalen Zuhörer des Norður og Niður scheiterten sehr zur Freude der Einheimischen. Zum krönenden Abschluss gab es einen Pulp-Song, auch wenn der Publikumswunsch Razzmatazz damit nicht erfüllt wurde.
Der Auftritt war der passende Abschluss und eine der zahlreichen Überraschungen der Tage in Reykjavík. Besser hätte das Jahr kaum enden können. Viele Auftritte werden lange in Erinnerung bleiben. Sie zeigen, wofür wir Festivals lieben: Überraschungen, Neuentdeckungen und das Treffen auf alte musikalische Bekannte.