Die Halle ist ausverkauft, die Stimmung jedoch etwas verhalten. Zugegeben, in der Haut der Protagonistinnen möchte man vor so einem Sleater-Kinney-Konzert dieser Tage wirklich nicht stecken. Wie wird das wohl heute Abend ankommen? Dieses neue Material, das auf gemischte Gefühle in der Fangemeinde traf. Dieses Album “The Center Won’t Hold”, das die langjährige Drummerin Janet Weiss geradewegs zum Ausstieg motivierte. Tatsächlich werden die Riot-Grrrl-Vorreiterinnen Carrie Brownstein und Corin Tucker es an diesem Abend im Astra nicht ganz leicht haben, das berliner Publikum zum Schwingen zu bringen.
Es startet mit den blechernen Drums des schwerfälligen Intros, die über das mantraartige Titelgemurmel Spannung aufbauen, um dann irgendwann mit der Wucht von drei Gitarren zu eskalieren. Der Einstieg mit dem Titeltrack des neuen Albums kommt dabei eigentlich verdammt gut von der Bühne. Leider kommt es beim Publikum nicht so richtig gut an. Carrie Brownstein und Corin Tucker tauschen ein aufmunterndes Lächeln aus. Brownstein äußerte sich in ihrer Autobiografie schon eindeutig zu undankbaren Auftrittssituationen: Auf der Bühne zu stehen ist eben dein Job, den du dir jeden Abend neu erkämpfen musst. Alle, die sich zu cool dafür sind, sind Slacker.
Tauschgeschäft mit Sleater-Kinney
Und so entspinnt sich ein interessantes, wenn auch mühsam erscheinendes Tauschgeschäft zwischen Bühne und Publikum, bei dem die Musikerinnen alles geben und das Publikum nicht allzu viel zurück. Ein Zähnefletschen von Brownstein gegen ein Dienstagabend-Gähnen. Ein schmerzverzerrter Blick von Tucker gegen ein Schulterzucken. Ein spitzer Schrei gegen ein “uff heute den ganzen Tag gearbeitet und morgen wieder auffe Wuchte, wa”.
Der tosende Applaus und das Gejubel zwischen den Songs kommt da fast überraschend, ist aber gern gehört. Wirklich gut scheint dem Publikum das neue Material dennoch nicht zu schmecken, da muss es aber durch: So macht “The Center Won’t Hold” doch den Großteil des Abends aus. Alle Musikerinnen auf der Bühne sind dabei gut aufgelegt – die dritte Gitarristin Katie Harkin zum Beispiel, die auch schon den Support machen durfte. Sie habe aber kein Problem mit Doppelschichten, sei sie doch ein Millennial. Der erweiterte Sound des neuen Albums braucht zwar immer noch keine Bassistin, aber immerhin ist nun Toko Yasuda (Enon, St. Vincent) als Keyboarderin dabei. Am beeindruckendsten macht sich allerdings der Ersatz für Janet Weiss: Angie Boylan. Die Schlagzeugerin füllt das energische Spiel ihrer Vorgängerin bestens aus und lässt keine Wünsche offen. Dabei könnten die Fußstapfen der beliebten Drummerin Weiss kaum größer sein.
Ausgerechnet Berlin
Der Tauschhandel geht also weiter: Headbanging gegen ein rhythmisches, leichtes Kopfnicken. Eine erhobene Faust gegen nur einige wenige der etwa 3000 Fäuste, die es ihr gleichtun. Einen kleinen Moshpit gibt es dann für “What’s Mine Is Yours” vom weitreichend gefeierten 2005er Album “The Woods”. Ein warmes Lächeln von Brownstein für ein im Publikum erspähtes bekanntes Gesicht. Man habe ganz bewusst Berlin für die erste Europa-Show gewählt. So viele bekannte Gesichter und so eine tiefe Verbindung zur Stadt – und nach und nach taut diese dann auch auf. Die kleinen Moshpits im vorderen Bereich häufen sich, es wird mehr getanzt, Berlin wird so langsam warm.
Je tiefer sich Sleater-Kinney durch ihre Diskografie graben, desto dankbarer zeigt sich das Publikum. Das Album “The Woods” nimmt den zweitgrößten Teil der Setlist ein, aber fast jedes Album bekommt mindestens einen Song Tribut gezollt. Ganz am Ende darf das Publikum dann zu dem stürmischen “Dig Me Out” den Abend ausklingen lassen und zeigt sich dann erst so richtig dankbar. Es war womöglich kein einfacher Europa-Tourstart hier in Berlin. Am Ende scheint der Tauschhandel jedoch für beide Seiten aufgegangen zu sein.
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