Primavera Sound Festival 2017, Barcelona: Musikalische Höhepunkte am Mittelmeer

Direkt vom heißen Strand geht es am Samstag Nachmittag in das kühle Auditori. Die Kühle bezieht sich natürlich nicht auf die Atmosphäre, sondern die Temperatur. Das Auditori ist eine der Indoor-Bühnen des Primavera Sound Festivals und ein Highlight für sich: Das gewaltige Bauwerk ist von außen sicherlich nicht jedermanns Geschmack, von innen offenbart es sich als schöner Konzertsaal. Der Einlass ist streng, manchmal braucht man extra Tickets, um rein zu kommen.

“Everybodyyyy’s somebody’s fetish”

So ist es auch bei The Magnetic Fields, die hier schon ihren zweiten Auftritt absolvieren. Sie spielen das autobiografische “50 Song Memoir” in Auszügen. Das Bühnenbild sieht verspielt aus, ein flacher Wortwitz leitet das Konzert ein. (Muss man diesmal leider wirklich dabei gewesen sein.) Sänger Stephin Merrit erzählt auf dem 5-fach-Album autobiografisch in fünfzig Songs jedes Jahr seines Lebens. Ohne sich an ein strenges Narrativ zu halten, ist es oft der Charme und der Humor, der das Projekt aufrecht erhält. Und ja, der Witz ist drin. Er hält allerdings nicht über die Zeit von zwei Stunden inklusive 15 Minuten Pause stand. Am Ende verlässt man den Saal leicht ermüdet, jedoch nicht ohne den Ohrwurm von “Somebody’s Fetish” vor sich her zu singen.

Arcade Fire ist wohl der begehrteste Act des Wochenendes. Das zeigt sich in der Situation vor der Bühne. Hier ist es so voll, dass es kein Vor gibt, nur ein Zurück. Also heißt es: weiter hinten anstellen. Hier ist es entspannter, es gibt Bier, ist wohl besser. Als die Show losgeht, rasten alle komplett aus. Ein Rollstuhlfahrer springt auf, als wäre er geheilt. (Hatte aber nur ein Gipsbein.) “Wake Up” ist der unerwartete Opener und weckt das Publikum buchstäblich auf. Hier singt jeder mit, was für ein Start! Auf diese Melodie können sich alle einigen.

War das schon alles jetzt?

Der neue Song “Everything Now”, der in Teilen auch von ABBA stammen könnte, spaltet dann ein bisschen die Gemüter. Sind das noch Arcade Fire? Sie beantworten es uns mit einer schönen Setlist: Ja, das sind sie. “Here Comes The Nighttime”, “No Cars Go” und auch lange vernachlässigte Songs wie “Neon Bible” und “In The Backseat” finden sich hier wieder.

Dennoch ist die Situation nicht optimal. Vom Sound kommt ein bisschen zu wenig an, viel zu viele unterhalten sich nebenbei. Es fängt an, vor sich hin zu plätschern. Das darf nicht wahr sein, das sind doch Arcade Fire, verdammt. Man möchte besser hören, aber wie? Es ist also Lifehack-Zeit: Hinter den hinteren Boxentürmen angekommen, findet man astreinen Sound, hat jede Menge Platz und kann was auf den Leinwänden sehen. “Reflektor” läuft und alle tanzen, selbst die unbeschäftigten Bierverkäufer.

So wird Arcade Fire doch noch zum Highlight. Der zweite neue Song “Creature Comfort” weiß mehr zu überzeugen, mit “Rebellion (Lies)” und “Windowsill” endet einer der besten Auftritte des Festivals.

Es gibt was zu erzählen, but first: Let me take a selfie

Eigentlich ist nach Arcade Fire die Luft raus. Die Preoccupations auf der Pitchfork-Bühne sind zwar gut, aber Bewegung ist jetzt nicht mehr drin und die wäre hier vonnöten. Warum also nicht Haim eine Chance geben, die im Zuge des “Primavera Unexpected” auf der Ray Ban auftauchen? Die drei Schwestern treten auf, um ihr neues Album “Something to Tell You” zu promoten und sorgen für einen letzten Überraschungsmoment.

Nach und nach füllt sich der Platz vor der Bühne. Es ist irgendwann so voll, dass die Bassistin Este Haim unbedingt mitten im Set zwischen den Songs ein Selfie mit der Crowd machen muss. Die Ansagen sind dementsprechend gezeichnet von ernsthafter Freude und charmanter Verplantheit. Haim haben es mit ihrem Stil irgendwie geschafft, den R&B-Pop der 90er-, 2000er- und der 70er-Jahre auf den Punkt zu bringen. Die Performance ist total überzogen und gezeichnet durch eine fast schon machohafte Bühnenpräsenz. Jede klischeehafte Rockgeste wirkt wie ein Zitat – einfach toll. Das Konzert gipfelt in einem fast schon Safri-Duoesken Drumsolo der drei Schwestern. Und wenn man erst noch meinen könnte, dass dann der große Höhepunkt folgt, nein: Das war er. Das war der Abschluss. Muss man auch erst mal bringen.

Primavera Sound Festival Schriftzug
Ein letzter Blick auf den Schriftzug des Primavera Sound Festivals (Foto: Julian Krüger)

P.S.: Primavera Sound 2018?

Der Sonntag ist grau und verregnet. Man könnte noch Konzerte in der Stadt sehen, man kann aber auch Faulenzen und entspannt Essen gehen. Noch ist an Flughafentristesse, Jetlag und Verpflichtungen nicht zu denken, aber doch gerne an das Primavera im nächsten Jahr. Wer wird wohl das Line Up schmücken und wer die Festival-Community-WG? Wir werden sehen – wir sehen uns höchstwahrscheinlich 2018 wieder, liebes Primavera Sound!

JKr