“Es ist komisch, vor einer Gruppe von Menschen zu spielen, die alle den gleichen Hut tragen”, so der Sänger der Indie-Rock-Band Pinegrove. Eine gratis Schirmmütze ist natürlich in der prallen Sonne des Donnerstagnachmittags ein willkommenes Geschenk. Das dachte sich auch ein Reifenhersteller, der vor dem Konzert auf der eigenen Bühne eben jene Geschenke verteilte und damit eine Horde lebendiger Werbeträger schuf. Das Primavera Sound Festival ist ganz nebenbei eben leider auch eine große Schlacht der Markennamen. Das Publikum lauscht den melancholisch angehauchten Songs der Band aus New Jersey und zeigt sich dabei von seiner textsicheren Seite.
Angelina!
Pinegrove entfalten ihre Songs live, indem sie das Tempo an bestimmten Stellen gezielt anpassen und eine neue Eigendynamik schaffen. Das geht auf, hier sitzt alles: In der idealen Wetterlage und der passenden musikalischen Untermalung legt die Band nicht nur den Grundstein für ein tolles Festival, sondern auch für ihren zweiten Auftritt. Die Wahnsinnigen werden knapp zwölf Stunden später ein zweites Set spielen und auch dort gleichermaßen abliefern. (Anm. d. Red.: Gerüchte besagen, dass derjenige, der mehrmals lautstark den Song “Angelina” verlangt hat, aus unseren Reihen stammt. Das lassen wir unkommentiert.)
Broken Social Scene betreten die schönste Bühne des Primavera Sound Festivals und liefern sogleich einen der schönsten Auftritte ab. Lange war es ruhig um das Kollektiv, jetzt ist ein neues Album angekündigt. Die Kanadier hauen früh Songs wie “7/4 (Shoreline)” raus und holen so den Großteil des Publikums mit ins Boot, um ihnen durch ihr komplettes Set zu folgen. Auch die neuen Songs kommen gut an und machen Lust auf das kommende Album “Hug of Thunder”. Das einzige Manko des Auftritts ist dann leider die kurze Spielzeit. So ein 55 Minuten Set kommt der Band gar nicht gerecht. Dennoch war es eine gute Idee, hier auf den Secret Gig von Arcade Fire zu verzichten und zur Ray-Ban Bühne zu wandern.
Tanzen im Moshpit
Während Slayer auf einer der Hauptbühnen wüten, haben nicht wenige Besucher stattdessen Lust auf etwas Extremes: Death Grips machen die Primavera Stage unsicher. Unweit der Bühne ist eine gemütliche Rasenfläche zum Sitzen gelegen. Doch Sitzen ist hier eigentlich keine Option. Die experimentelle Hip-Hop-Formation aus Sacramento bewegt sich in so ziemlich jedem Song an die Schmerzgrenze oder darüber hinaus. Schneidende Dissonanzen, Noise und sogar Blastbeats sind hier keine Fremdwörter, Moshpits sind vorprogrammiert. Der Drummer Zach Hill und die unverwechselbare wie gewöhnungsbedürftige Stimme von MC Ride sorgen für die ganz persönliche Note.
Dennoch ist es eins dieser schönen Bilder des Primaveras, dass eben nicht nur langhaarige Masochisten und bebrillte Musiknerds in musikalischem Schmerz baden wollen. Hier steht ein bunter Querschnitt der Besucher vor der Bühne und die tanzen sogar ganz ausgelassen! Im Endeffekt ist Death Grips eben nicht zuletzt richtig guter Hip Hop. Das ist nicht nur extrem, sondern tatsächlich partytauglich.
This Country’s Sun
Es ist mittlerweile Freitag und hektische Aufbruchstimmung macht sich in der Festival-Community-Hauptzentrale breit. Gerade hat die App den ‘Primavera Unexpected’-Gig von Mogwai angekündigt. Die Post-Rock-Band wird ihr noch nicht erschienenes Album in voller Länge spielen. Jetzt heißt es also: extra früh da sein!
Mogwai sind sichtlich über die Chance erfreut, dem Publikum ihr neues Album “Every Country’s Sun” weltexklusiv präsentieren zu dürfen. Passenderweise zeigt sich an dem frühen Freitagabend die Sonne dieses Landes von der besten Seite. Die Band setzt dazu mit ihren atmosphärischen neuen Songs das schöne Setting der etwas versteckten Bühne perfekt in Szene. Da die Band größtenteils instrumental unterwegs ist, schadet es auch nicht, keinen der Songs zu kennen. “Every Country’s Sun” erscheint am 1. September und sei hiermit schon einmal vorab empfohlen. In der Sonne von Spanien klingt es schon einmal sehr gut!
Subtile Gesten und entblößte Ärsche
Kölner Karnevalisten bezeichnen sich gerne als ‘positiv bekloppt’ – diesen Titel müssen sie sich nach dem Set von Mac DeMarco erstmal wieder zurückholen. Der Kanadier ist für seinen treffsicheren Humor bekannt, der sich irgendwo subtilen Gesten und nackten Ärschen manifestiert. So offenbart eine gekonnte Kamerafahrt früh im Set zum Beispiel den splitternackten Drummer, der ausdruckslos vor sich hin starrt. Vielleicht ist der gechillte “Jizz Jazz” (DeMarcos eigene Worte!) musikalisch nicht das spannendste auf der Welt, die Performance haut jedoch alles raus.
Der Gig gipfelt in einem übertriebenen Gitarrensolo von Andrew Charles White, zu dem sich DeMarco auszieht und seine Achselhaare mit einem Feuerzeug anzündet. Das Solo ist so scheiße, dass der fast nackte Frontmann mit einem köstlichen “was machst du da eigentlich?”-Blick den Gitarristen anglotzt, als wäre er der Bekloppteste auf der Bühne. Zwischendurch macht DeMarco noch konfuse Ansagen und schickt Bandmitglieder von Whitney auf eine “Crowdsurf-Experience”. Muss man dabei gewesen sein. (Na gut, nicht unbedingt.)
And the crowd goes: “RTJ!”
War bei Mac DeMarco noch ausgelassene Entspannung angesagt, ist die spätestens bei Run The Jewels verflogen. Wer zu “We Are the Champions” auf die Bühne kommt, muss schließlich auch abliefern. Einer der größten Hip-Hop-Hypes der letzten Jahre zerlegt hier also in der nächsten Stunde die Hauptbühne des Primavera Sound Festivals. Sobald der erste Drop vor der Mango-Bühne einschlägt, gibt es kein Halten mehr. Hoffen wir, dass sich alle Beteiligten das hier gut überlegt haben, denn aus dem Pit kommt man wahrscheinlich nicht so schnell wieder raus. Hier verliert man schnell kurzzeitig den Boden unter den Füßen oder auch mal einen Schuh.
Die MCs Killer Mike und El-P rappen sich stilsicher durch ihre drei Alben, das Publikum hängt an ihren Lippen. Obwohl das bei Hip Hop ja manchmal nicht so einfach ist, sind hier viele besonders textsicher unterwegs. Das spricht für die eingängigen Lyrics und wenn das dann mal nicht so läuft? Den Bandnamen haben ja alle verstanden. Der kommt so häufig in den Texten vor, dass er jeden Filmriss übersteht. Das ist okay – der Humor und die Ansagen holen die beiden wieder auf den Boden der Bühne zurück.
Dass während der Performance von RTJ einmal der Ton komplett ausfällt, ist schade. So spielen sie “The Blockbuster Night Part 2” leider nur an. Dennoch haben die beiden US-Amerikaner hier eine der besten Shows des Wochenendes abgeliefert.