Die Festivalsaison beginnt schon im Januar! Zumindest, wenn man das Eurosonic Noorderslag-Festival in der niederländischen Studentenstadt Groningen auf dem Zettel hat. Dort braut sich Jahr für Jahr aufs Neue ein Branchentreffen zusammen, das Bookern, Pressevertretern und Musikbegeisterten die heißesten Acts der kommenden Saison serviert – und zahlreichen Newcomern den Grundstein für eine steile Karriere legt.
Das Hamburger Reeperbahn Festival macht es vor: Festivals können auch wunderbar als spannender, innerstädtischer Branchentreff fungieren. Zwar möchte man sich als Besucher bei den unzähligen Programmpunkten manchmal gerne vierteilen, aber dafür entdeckt man immer wieder aufs Neue zahlreiche ungehobene musikalische Schätze. So wühlen wir uns mal wieder im Voraus durch das reichhaltige Line Up von knapp 350 Bands, um einen Timetable zusammenzustellen, der uns schließlich zwei Abende lang durch die Clubs, Kirchen und Konzerthäuser der Stadt schickte. Sechs Acts sind uns dabei am meisten in Erinnerung geblieben:
1. Naked Cameo ?? (Barn)
Abseits vom mittlerweile etwas durchgespielten Austropop gießen die vier jungen Österreicher von Naked Cameo Pop, Soul und RnB zusammen, würzen das Ganze mit Energie und Tanzbarkeit und sorgen so besonders in ihren Refrains für extremes Ohrwurmpotential. Bei so viel musikalischem Selbstbewusstsein wünscht man der Band den musikalischen Durchbruch – bestenfalls schon in dieser Festivalsaison. Schade, dass ihr Debütalbum im letzten Jahr so wenig Beachtung fand. Umso schöner, dass ihnen das Eurosonic Noorderslag 2019 eine Bühne bietet.
Für Freunde von: Phoenix, Nick Murphy fka Chet Faker, The Whitest Boy Alive
2. Vivii ?? (Der AA-Kerk)
Die imposante AA-Kirche ist genau der richtige Ort für den getragenen Dreampop von Vivii. Die drei Schweden zeigten den Anwesenden, wie man den gesamten Raum bis an die Decke mit Melancholie, Eleganz und Liebe füllt – trotz all der Introspektion, die man bei den langsam flirrenden Gitarren und sachte gehauchten Lyrics wähnt. Absolute Empfehlung für alle, die auch nur ansatzweise etwas mit verträumter Musik anfangen können.
Für Freunde von: Dillon, Porcelain Raft, Sigur Rós
3. Die Wilde Jagd ?? (Minerva)
Bereits auf dem Timetable vom Fusion-Festival ist mir dieser Bandname aufgefallen, allerdings habe ich mich zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit der Musik beschäftigt, die dahinter steckt. Großer Fehler! Die Wilde Jagd lassen in ihrer Musik den Geist vom Krautrock der 1970er Jahre wiederaufleben, inklusive kryptischer Lyrics und hypnotisch-groovender Songs, die gerne mal 15 Minuten dauern. Live zieht uns das zweiköpfige Gespann mit treibenden Jams und getragenem Schlagzeugspiel in seinen Bann. Dass nur zwei Menschen solch ausufernde Soundwelten erschaffen können, lässt uns am Ende sprachlos zurück.
Für Freunde von: NEU!, Kraftwerk, Einstürzende Neubauten
4. Cavetown ?? (USVA)
Während wir uns bereits bei Naked Cameo gefragt haben, wie jung und gleichzeitig talentiert man sein kann, fällt uns beim Gig von Cavetown erst recht die Kinnlade herunter. Der 19jährige Brite hat seit mehreren Jahren mehrere hunderttausend Follower auf Youtube und bereits etliche Songs auf Bandcamp veröffentlicht. Live trat er an diesem Abend minimalistisch in Erscheinung und benutzte selten mehr als Ukulele und Kazoo. Lo-Fi pur. Das Publikum schafft es indes über die gesamte Konzertlänge seinen Texten über Glück, Liebe, Mut und Unmut zu lauschen. Ohne Handyfilmerei, ohne Gequatsche. Bekommt man auch nicht mehr alle Tage mit.
Für Freunde von: Neutral Milk Hotel, Car Seat Headrest, Kevin Divine
5. Someone ?? (Heerenhuis)
Vom minimalistischen Akustikgig geht es direkt zu überbordender Psychedelik über: Für ihren Gig auf dem Eurosonic Noorderslag 2019 hat die niederländische Multiinstrumentalistin Tessa-Rose-Jackson alias Someone eine transparente Leinwand vor der Bühne errichtet, bei der sich von ihr gestaltete Grafiken bewegen, die perfekt zur Soundästhetik zwischen Art Pop und Psych Rock passen. Grandioses Gesamtkunstwerk, dass gleich auf mehreren Ebenen bezaubert. Für uns eine der heißesten Neuentdeckungen des Festivals – nun fehlt nur noch das Debütalbum.
Für Freunde von: Methyl Ethel, Tame Impala, Cardigans
6. Glass Museum ?? (Doopsgezinde Kerk)
Kein Gesang, keine Gitarren, keine vielen Worte. Und doch führen die beiden Belgier von Glass Museum großartige Dialoge mit Schlagzeug und Keyboard und sind dabei großartig aufeinander eingestellt. In präzisen Schlagabtauschen nimmt uns das Duo mit auf einen Instrumentaltrip zwischen laut und leise, melancholisch und euphorisch, Jazz und Elektro. Was für eine elektroakustische Achterbahn!
Für Freunde von: Grandbrothers, Martin Kohlstedt, Nils Frahm
DRö
Weitere Bilder vom Eurosonic Noorderslag 2019 unter allerorts.de.