Mit Gisbert und Kettcar im Paradies
So beispielsweise Das Paradies im Jugendheim, eine Location, die bei vielen Erinnerungen an die eigene Jugend hervorgebracht haben dürfte. Ein etwas altbackenes, holzvertäfeltes Gemeindegebäude, stilecht mit Kruzifix an der Wand. Die wenigsten dürften jedoch in ihren Gemeindezentren so gute, deutsche Indie-Pop Musik live erlebt haben. Hinter Das Paradies versteckt sich Florian Sievers, der früher als Teil von Talking To Turtles schon einige Bekanntheit erlangte und heute mit Klängen á la Die Höchste Eisenbahn in aller Munde ist. Sein Debüt-Album ist noch gar nicht erschienen, die Lieder, die er mit Unterstützung von Keyboard und Schlagzeug spielte, lassen aber Großes vermuten. Zusammen mit sympathischen Ansagen und dem Anpreisen des Getränks Kaffee Spezial (Kaffee, Bananenlikör, Sahne) lieferte Sievers einen erinnerungswürdigen Auftritt.
Ohnehin stand die diesjährige Ausgabe des Haldern Pop ein wenig im Zeichen deutscher Künstler. Sei es Philipp Poisel, der bereits am Donnerstagabend seine Popsongs zum Besten gab, angesprochener Nils Frahm, Love A, White Wine, die labeleigenen Newcomer von Hope, oder der charismatische Gisbert zu Knyphausen, der mit seiner aufrichtigen, aber stets lebensbejahenden Melancholie ein immer gern gesehener Gast ist.
Zum großen Highlight wurden aber Kettcar, die am Samstagabend erneut den Reitplatz beehrten. Natürlich war die Freude über Songs wie Balu, Deiche oder Landungsbrücken raus groß, doch sind es besonders die Songs ihres aktuellen Albums Ich vs. Wir, die für die ganz besonderen Momente sorgten. Das galt vor allem für Sommer ‘89, also jenen Song, den wir vor ziemlich genau einem Jahr das erste Mal auf dem Campingplatz des Haldern Pop hörten und der seither kaum mehr aus der Musikwelt wegzudenken ist – wenngleich er, wie Marcus Wiebusch anmerkte, nicht ganz kritiklos blieb. Aber zusammen mit weiteren Songs wie Wagenburg oder dem bereits etwas älteren Der Tag wird kommen von Wiebusch’ Soloalbum stellen Kettcar erneut unter Beweis, dass große Songs und gesellschaftliche Themen sich nicht spinnefeind sein müssen – und dass Humanismus nicht verhandelbar ist.
Haldern Pop 2018: Neue Gesichter und alte Bekannte
Doch wäre das Haldern Pop nicht das Haldern Pop, wenn es nicht auch viel Neues zu entdecken gäbe. So konnten auch in diesem Jahr junge und interessante Künstler wie Nilüfer Yanya, Protomartyr, Jade Bird oder Phoebe Bridgers reichlich neue Fans gewinnen. Das große Highlight waren jedoch Amyl and the Sniffers, die unter Beweis stellten, warum sie derzeit in aller Munde sind. Denn ihr zwar simpler, aber ungemein energiegeladener 70s-Garage-Punk brachte das Spiegelzelt ordentlich ins Schwitzen. Es erschien fast ein wenig skurril, dass die australische Band um Amy Taylor ausgerechnet parallel zu King Gizzard & The Wizard Lizard auftrat. Erst vor kurzem wurden sie nämlich von deren Label unter Vertrag genommen und treten auch derzeit als Toursupport auf. Fans beider Bands waren also zur Entscheidung gezwungen. Die zwar reichlich abgekämpften, jedoch äußerst glücklichen Gesichter nach furiosen 30 Minuten zeigten aber: Mit der Entscheidung für Amyl haben wir alles richtig gemacht.